J73 Wertbeständig und resilient
- Tamara Schüppel
- 19. Mai
- 4 Min. Lesezeit
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Wir tauchen ein in das historische Geschehen und lassen gesellschaftliche Umstände auf uns wirken. Was bewegte damals die Menschen zu ihrem Handeln?
Die Soldaten, der Hauptmann und die Gerichtsdiener der Juden nahmen Jesus fest, fesselten ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; er war nämlich der Schwiegervater des Kajaphas, der in jenem Jahr Hohepriester war. Kajaphas aber war es, der den Juden den Rat gegeben hatte: „Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk stirbt.“
Der Hohepriester befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen. Warum fragst du mich? Frag doch die, die gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe; siehe, sie wissen, was ich geredet habe.“ Als er dies sagte, schlug einer von den Dienern, der dabeistand, Jesus ins Gesicht und sagte: „Antwortest du so dem Hohepriester?“ Jesus entgegnete ihm: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ Da schickte ihn Hannas gefesselt zum Hohepriester Kajaphas.
Die Bibel, Johannes-Evangelium 18,12-14 und 19-24 (Einheitsübersetzung 2016)
Zur Zeit dieses Geschehens, etwa im Jahr 33 n.Chr., waren die Auswirkungen der römischen Vorherrschaft in Israel bis in religiöse Belange hinein spürbar. Jedoch hatte die Besatzungsmacht in eingeschränktem Maß den Juden die Gerichtsbarkeit für eigene Angelegenheiten zugestanden. Somit blieb der Hohe Rat, auch Synedrium genannt, erhalten. Dieses religiöse Richterkollegium bestand aus 71 Teilnehmern, den Vorsitz führte der Hohepriester.
Auch das Amt des Hohepriesters hatte deutlich an Bedeutung eingebüßt und wurde nicht mehr lebenslang ausgeübt. So musste der Hohepriester in seinem Amt vom Regionalherrscher bestätigt werden, der seinerseits dem römischen Kaiser unterstellt war. Neben ihren religiösen Befugnissen traten Hohepriester und Synedrium jedoch auch als Vertreter der jüdischen Bevölkerung gegenüber der römischen Verwaltung auf.
Fast 10 Jahre hatte Hannas das Amt des Hohepriesters innegehabt: 6 n.Chr. bis 15 n.Chr. Zur Zeit der Gefangennahme Jesu, also etwa 1½ Jahrzehnte später, war er weiterhin ein hochgeachtetes Mitglied des Synedriums. Deshalb wird Hannas in unserem Text ebenfalls als Hohepriester bezeichnet.
Offensichtlich betrieb auch sein Schwiegersohn Kajaphas als Amtsinhaber eine römerfreundliche Realpolitik. Um wenigstens die eingeschränkte jüdische Selbstverwaltung zu erhalten, intervenierte er geschickt zwischen römischen Machthabern und jüdisch-religiösen Interessen. Auf diesem Hintergrund kann man seinen Ausspruch einordnen: „Es ist von Vorteil, wenn ein Einzelner stirbt anstelle des Volkes.“ (vgl. dazu Johannes 11, 47-53) – In einem ganz anderen Sinn passierte das wirklich: Jesus starb stellvertretend für das Volk. Nicht nur für das Volk der Juden, sondern zeit- und raumumspannend für jeden Menschen, der Frieden mit dem Schöpfergott schließen will.
Während wir diese gesellschaftlichen Hintergründe beleuchten, strahlt Jesu Sinnesart als Gegensatz dazu besonders hell auf: Jesus lebte gerecht und aufrichtig gegenüber jedermann. Notfalls nahm er Nachteile dafür hin. Für Jesus hat der einzelne Kranke, der für die Gesellschaft minderwertig erscheint, genau so viel Wert wie der anerkannte und hochgebildete Priester. Sein Ziel ist zunächst die innere Heilwerdung der Menschen, der Friede mit dem Schöpfergott. Jesus ist Gott, er zeigt uns, wie wir leben können: Wer dem Schöpfergott verantwortlich ist, kann aufrichtig leben und Gutes bewirken. Auch wenn politische Gegebenheiten schwierig sind, auch wenn die verantwortliche Tat für uns oft ein Wagnis ist, bei dem wir nicht schuldfrei bleiben: Die innere Haltung ist der wichtigste Faktor für eine positive persönliche wie auch gesellschaftliche Entwicklung. Deshalb wurde der Gottesbezug bewusst in der Präambel unseres Grundgesetzes verankert. („In dem Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ...“ Präambel Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland)
Damals war die religiöse Führungsschicht der Juden mit dem Hohepriester an der Spitze im eigenen Volk sowie bei den Römern weithin geachtet. Aber im Hinblick auf den Anspruch des allmächtigen Gottes bewiesen die meisten von ihnen völlige Zielverfehlung ihres Lebens. Viele Gespräche mit Jesus im Vorfeld zeigten, dass sie das Ansehen bei Menschen mehr liebten als das Ansehen bei Gott. Deshalb wurde Jesus, der von Gott gesandte Retter, zu ihrem Feind.
Demgegenüber bleibt Jesus offen und aufrecht: Ungeachtet seiner Fesseln spricht er während des Verhörs auf Augenhöhe mit Hannas, dem Vertreter der richterlichen Instanz. Der Gerichtsdiener will ihn durch Gewaltanwendung einschüchtern. Aber Jesus zeigt erneut würdevolle Überlegenheit und weist auf gerechte und wahrheitsfördernde Untersuchungsmethoden hin. Weil Hannas dem nichts entgegenzusetzen hat, schickt er ihn zu Kajaphas. Wo bleiben hier Gerechtigkeit und Verantwortung vor Gott?
Jesus gibt an anderer Stelle zu bedenken: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen? Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommen und dann wird er jedem nach seinen Taten vergelten.“ Matthäus 16,26-27
Wertbeständig und resilient gegenüber dem Bösen ging Jesus auf sein Ziel zu, nichts und niemand konnte ihn daran hindern. Jesus kam, um uns Frieden und persönliche Beziehung mit dem vollkommen guten Schöpfergott zu ermöglichen. So ausgerüstet können auch wir in Verantwortung vor Gott aufrecht leben. Notfalls müssen wir harte Konsequenzen hinnehmen, aber wir können uns für den Guten und seine Werte entscheiden. Das lohnt sich!
Tamara Schüppel
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